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EncroChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar

Der BGH hat entschieden, dass von Frankreich übermittelte Daten des Anbieters EncroChat als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zehn Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Einziehung von Taterlösen über mehr als 70.000 Euro angeordnet. In einigen Fällen waren zentrale Beweismittel SMS-Nachrichten des Angeklagten, die dieser über den Anbieter EncroChat zur Organisation des Drogenhandels versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision u.a. gerügt, dass diese von französischen Behörden 2020 erlangten und der deutschen Justiz übermittelten Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen.

Der BGH hat die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des LG Hamburg vom 15.07.2021 auf Antrag des Generalbundesanwalts verworfen.

Er hat entschieden, dass die von Frankreich übermittelten Daten des Anbieters EncroChat als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie im vorliegenden Fall der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

I. Sachverhalt

1. Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen gab es in Frankreich 2017 und 2018 Hinweise darauf, dass Tatverdächtige organisierten Drogenhandel (bis zu 6 kg Heroin und 436 kg Marihuana) über besonders verschlüsselte Mobiltelefone („Kryptohandys“) des Anbieters EncroChat abwickelten. Mit diesen Geräten konnte man weder telefonieren noch das Internet nutzen, sondern lediglich Chat-Nachrichten (SMS) versenden, Notizen anlegen oder Sprachnachrichten speichern und versenden. Eine Kommunikation war nur zwischen Nutzern von EncroChat möglich. Aufgrund einer besonderen Ausstattung der Telefone und einer besonderen Verschlüsselungstechnik konnten Strafverfolgungsbehörden weder auf die damit geführte Kommunikation zugreifen noch die Geräte inhaltlich auslesen oder orten. Mit diesen Merkmalen und einer Garantie der Anonymität wurden die Geräte beworben. Allerdings konnte man sie nicht von offiziellen Verkaufsstellen, sondern nur von speziellen Verkäufern über anonyme Kanäle zu einem hohen Preis von 1.610 Euro für einen Nutzungszeitraum von sechs Monaten erwerben. Ein legal existierendes Unternehmen „EncroChat“ war ebenso wenig zu finden wie Verantwortliche dieser Firma oder ein Unternehmenssitz.

2. Die französischen Strafverfolgungsbehörden leiteten ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung ein und fanden heraus, dass die verschlüsselte Kommunikation zwischen EncroChat-Nutzern über einen im französischen Roubaix betriebenen Server lief. Mit Genehmigung durch ein französisches Gericht griffen sie auf die Daten auf dem Server zu. Hierbei ergab sich, dass 66.134 SIM-Karten eines niederländischen Anbieters im System eingetragen waren, die in einer Vielzahl europäischer Länder verwendet wurden. Eine Dechiffrierung mehrerer tausend „Notizen“ von EncroChat-Nutzern belegte, dass diese zweifelsfrei mit illegalen Aktivitäten wie insbesondere Drogenhandel mit bis zu 60 kg Kokain in Verbindung standen.

3. Auf Antrag der französischen Staatsanwaltschaft wurde in Frankreich richterlich u.a. die Installation einer Abfangeinrichtung zu den über den französischen Server laufenden und auf den Telefonen gespeicherten Daten ab dem 1. April 2020 genehmigt. Nach ersten Erkenntnissen wurden von den in Frankreich aktiven Telefonen sicher jedenfalls 63,7 % für kriminelle Zwecke verwendet, die übrigen Geräte (36,3 %) waren entweder teils inaktiv oder noch nicht ausgewertet. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nach der Auswertung der im ersten Monat erlangten Daten von einer „nahezu ausschließlich kriminellen Klientel“ der EncroChat-Nutzer aus.

4. Dem Bundeskriminalamt wurden über Europol Erkenntnisse zugleitet, wonach in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten von EncroChat-Nutzern begangen wurden. Die Zentralstelle zur Bekämpfung für Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. In diesem Verfahren erging am 2. Juni 2020 eine an Frankreich gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung mit dem Antrag, die Deutschland betreffenden EncroChat-Daten zu übermitteln und deren Verwendung in deutschen Strafverfahren zu erlauben. Beides genehmigte ein französisches Gericht am 13. Juni 2020.

II. Rechtliche Erwägungen des BGH

1. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht. Da eine Verwertung von wie hier erlangten Daten einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten kann, muss von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. In Anlehnung an Verwendungsbeschränkungen wie § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen derart erlangte Daten zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung oder eine akustische Wohnraumüberwachung – angeordnet werden dürften. Hierzu gehören regelmäßig die in Rede stehenden Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz.

2. Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

a) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab ausländischen Rechts findet dabei nicht statt. Es kommt damit auch nicht entscheidend darauf an, ob eine wie hier in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies ist nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Die unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen in Frankreich und Deutschland können auf der Ebene der Beweisverwertung kompensiert werden. Deshalb gelten hierfür die unter a) genannten besonders hohen Voraussetzungen.

b) Ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden „ordre public“ liegt nicht vor. Nach den den französischen Behörden nach dem ersten Datenzugriff vorliegenden Informationen ging es bei den Ermittlungen nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer. Vielmehr stellte sich EncroChat für die französischen Behörden als ein von vorneherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk dar. Aufgrund der ersten Erkenntnisse einer nahezu ausschließlich kriminellen Nutzung solcher Telefone war ein Nutzer hiernach schon allein aufgrund des mit erheblichen Kosten einhergehenden Erwerbs eines auf normalem Vertriebsweg nicht erhältlichen EncroChat-Handys krimineller Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche verdächtig.

c) Ein möglicher Verstoß französischer Behörden gegen die Pflicht, Deutschland zeitnah über das Bundesgebiet betreffende Abhörmaßnahmen zu unterrichten, kann schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland dient. Jedenfalls würde aber die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führen. Rechtlich unbedenklich ist auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen umfassenden Beweistransfer in einem gegen Unbekannt geführten Verfahren auf einer allgemeinen, letztlich aber jeden Nutzer konkret betreffenden Verdachtslage beantragt hat.

d) Einen etwaigen Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften beim Datenaustausch oder der sonstigen Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vor Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung hat die Revision nicht geltend gemacht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass ein durchgreifender Rechtsfehler aufgrund der nachträglichen Einholung einer Einwilligung ohnehin nicht auf der Hand liegt, zumal die grenzüberschreitende Übermittlung von Erkenntnissen zur Strafverfolgung nach den europäischen Rechtshilfevorschriften auch ohne Rechtshilfeersuchen ohne weiteres zulässig ist. An die Verwertung der aus einem solchen Informationsaustausch stammenden Daten sind jedenfalls keine höheren Anforderungen als an die Verwertung von durch eine Europäische Ermittlungsanordnung erlangten Daten zu stellen. Eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich.

Pressemitteilung des BGH Nr. 38/2022 v. 25.03.2022

 

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